Rechtsstaat macht Schule
Beeindruckende Live-Einblicke ins Gerichtswesen
„Rechtstaat macht Schule“- Das war das Thema, mit dem wir, die Klasse 9c, uns in den letzten Wochen ausführlich beschäftigt haben. Richterin Herberger und Polizist Neckermann haben sich viel Zeit für uns genommen und sind extra in unsere Schule gekommen, um uns von ihrem Beruf zu erzählen. Es war sehr spannend zu hören, wie sie von Straftaten in der Nähe, wie z.B. einem Ladendiebstahl in einem Drogeriemarkt berichteten und uns erklärten, wie genau man in solchen Verfahren sowohl als Polizist, als auch als Richter vorgehen muss.
Anschließend durften wir noch einen Gerichtsprozess mit Frau Herberger als Richterin nachstellen. Es ging um einen fiktiven Fall von Raub, begangen von zwei Jugendlichen an einem jüngeren Mitschüler. Die verschiedenen Rollen, wie Staatsanwälte, Verteidiger, Zeugen, Jugendgerichtshilfe und Angeklagte wurden dabei von unseren Mitschülern übernommen. Wir hatten allerdings nur wenig Zeit, uns auf die Rollen vorzubereiten, was manche etwas stresste.

Denn dann begann auch schon das Rollenspiel: Die Richterin, die uns davor ganz entspannt einiges erzählt hatte, eröffnete die Sitzung mit einem sehr strengen Ton, sodass die typische Klassenatmosphäre sich zu einer förmlichen und sogar angespannten Stimmung wandelte. Abgesehen von der jeweils sprechenden Person war der Raum totenstill und der Umgangston änderte sich zu einem viel Förmlicheren. Bei nicht formellem Verhalten verlangte die Richter sehr schnell Disziplin und Konzentration. Alle spielten ihre Rolle sehr überzeugend, sodass man sich den Fall überraschend gut vorstellen konnte. Die Richterin befragte die Angeklagten, sowie alle Zeugen gründlich und streng. Nach dieser langen Vernehmungsphase unterbreiteten die Jugendgerichtshilfe und die Staatsanwälte Forderungen für die Bestrafung der Täter.
Das Gericht endete dann mit der Schlussaussage der Angeklagten. Letztendlich konnte die Richterin jedoch keine Bestrafung für die fiktiven Angeklagten festlegen, da sie nicht hinreichend Informationen über deren Hintergründe hatte. Das Eintauchen in die jeweiligen Rollen fanden wir, obwohl wir durch schwierige Frage oft improvisieren mussten, sehr spannend und lehrreich und beschrieben es als ein tolles Erlebnis. Auch wenn sich bei einem erfundenen Fall, den wir weiterentwickelt haben, vereinzelt Aussage widersprachen, waren Frau Herberger und Herr Neckermann insgesamt sehr zufrieden mit uns.

Am 13.02.2025 durfte unsere Klasse schließlich eine echte Gerichtsverhandlung besuchen. Als wir um 08:45 Uhr am Amtsgericht Bad Mergentheim ankamen, wurden wir noch einmal mit den Regeln im Gerichtssaal vertraut gemacht. Als Richterin Susanne Friedl den Saal betrat, sind alle förmlich aufgestanden. Doch als die Verhandlung dann pünktlich um 09:30 Uhr beginnen sollte, gab es das erste Problem: Die Richterin, der Staatsanwalt, der Rechtsanwalt, die Schriftführer, der Sachverständige und sogar die Betreuerin waren anwesend, jedoch hat der Angeklagte J. S. gefehlt. Nach einem kurzen Telefonat mit der Polizei wurde er dann abgeholt und ins Gericht gefahren.
Und dann ging es auch schon los! Der Staatsanwalt erhob sich und verlaß die Anklageschrift, die acht Delikte von Ende November bis Mitte Dezember des Jahres 2023 beinhaltete und dementsprechend sehr lang war. J. S. wurde aufgrund von zweifachem Fahrraddiebstahl, vierfachem Ladendiebstahls, bei denen er die Lebensmittel teils schon im Laden verzehrte und zweifacher Körperverletzung verurteilt. Jedoch konnte er nur für zwei der acht Delikte als schuldfähig eingeschätzt werden, da er zu der Tatzeit der ausgeschlossenen Fälle vermutlich unter einem besonderen Ausmaß seiner paranoiden Schizophrenie litt und in einem solchen Fall der §20 des StGBs eintritt, der eine Schuldunfähigkeit bewirkt. Diese Krankheit bekam er durch übermäßigen, frühen und langen Konsum verschiedener Drogen, beispielsweise Marihuana und Extasy, sowie Kräutermischungen, was einen dreifacher Suizidversuch und schon viele Verfahren hinter sich zog. Diese beinhalteten Verbrechen wie Diebstahl, vor Allem von Lebensmitteln und Fahrrädern, Hausfriedensbruch, Drogenkonsum, Körperverletzung und Belästigung von Kindern und Frauen. Daher wurde er mehrmals in die Psychiatrie und später in eine betreute Wohneinrichtung, in der er aktuell noch wohnt, eingewiesen. Daher verhielt sich der Angeklagte oft etwas unangebracht, so dass er bei dem Verlesen der Anklage vor sich hin grinste, später dazwischenredete, eine Prügelei vorspielen wollte und etwas unangemessen gekleidet war. Obwohl er sich nicht mehr an jeden einzelnen Vorfall erinnerte, gestand er alles andere. Falls er seine Aussage allerdings verweigert hätte, wären Bild- und Videobeweise vorhanden gewesen und die geladenen Zeugen vernommen worden. Dies war allerdings nicht nötig, da er einerseits gestand und andererseits teils schuldunfähig und teils beschränkt schuldfähig war, weshalb das Verfahren eingestellt wurde.
Für diesen Fall wurde S., der mit sieben Jahren von Polen nach Deutschland kam, also nicht bestraft, seine alte Strafe von einem Jahr in der geschlossenen Psychiatrie, die er im Oktober erhielt, läuft seit daher ohne Verlängerung fort. Da das Verfahren eingestellt wurde, gab es keine Schlussplädoyers. Im Anschluss an die verkürzte Verhandlung haben sich die Richterin und der Staatsanwalt noch viel Zeit für uns genommen und einige Fragen beantwortet, sowie Stellung zu dem Fall bezogen. Außerdem gab sie uns einen genaueren Einblick in ihren Beruf.
Abschließend möchten wir uns im Namen der Klasse ausdrücklich für dieses Projekt bedanken. Es war ein toller Einblick in unseren Rechtsstaat und hat uns ein Bild darüber verschafft, wie ein Gerichtsprozess abläuft. Es war eine wunderbare, informative Erfahrung, die wir auf jeden Fall weiterempfehlen können und uns noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Ein besonderer Dank gilt unserem Politiklehrer Herr Terrahe, Richterin Herberger, Polizist Neckermann, Richterin Friedl sowie dem gesamten Amtsgericht Bad Mergentheim, die das ganze überhaupt möglich machten.
Text: Lara Ehrenfeld, Theresa Nuber, Alena Remmel, 9c